Ein zentrales Thema in der Psychotherapie ist die Fähigkeit fühlen zu können, was andere Menschen bewegt, was sie beschäftigt, bedrückt oder was sie sich insgeheim wünschen. Therapieren kann man eigentlich nicht – man kann andere Menschen nicht verändern, die richtige Behandlung bzw. Beratung ermöglicht die Veränderung im Klienten selbst – seine individuelle Lösung zu finden. Beim Einfühlungsvermögen des Menschen, kann das Problem sowohl in einer zu geringen als auch in einer zu großen emotionalen Spiegelungsfähigkeit liegen. Menschen mit einem Defizit bei intuitiver Wahrnehmung berichten, dass sie sich anderen gegenüber fremd fühlen, und dass sie schlecht emotionalen Kontakt zu anderen Menschen herstellen können. Solche Menschen tun sich auch im Verhältnis zur eigenen Gefühlslage schwer. Andere leiden an einem „Zuviel“ an Einfühlung: Sie berichten, dass sie sich in Beziehungen wiederfinden, in denen Empathie (sich einfühlen) nur von ihnen, nicht aber vom Partner ausgeht. In solchen Beziehungen ist die Fähigkeit, die Bedürfnisse und Gefühle des jeweils anderen Partners zu verstehen und sich darauf einzustimmen offenbar schlecht ausbalanciert: Einer der Partner ist in der gefühlsmäßigen Geberposition, ohne selbst etwas für sich zu empfangen. So ein Ungleichgewicht kann Menschen krank machen.
Diese Frage einer angemessenen und gut balancierten emotionalen Resonanzfähigkeit stellt sich jedoch nicht nur bei Paaren. Psychotherapeutinnen und -therapeuten, also Berater, können den Klienten nur dann wirklich helfen, wenn sie über eine eigene, gute intuitive Wahrnehmung verfügen. Mit Hilfe dieser Resonanzfähigkeit kann man die innere Situation der KlientIn „lesen“. Um seinen Klienten zu verstehen, muss der Berater die innere Resonanz wahrnehmen, die er, der Klient, in ihm auslöst. Psychotherapeuten nennen diese intuitive Wahrnehmung „Gegen-Übertragung“. In der medizinischen Hypnose wird diese Wahrnehmung interpersonelle Trance genannt.
Diese innere Resonanz lässt den Berater spüren, was den Klienten bewegt, welche Ängste, Wünsche oder sonstigen Gefühle von ihm Besitz ergriffen haben. Die im Berater ausgelöste Spiegelung sollte allerdings weit über ein rationales Verstehen hinaus gehen: Der Berater spürt auch ein Stück von dem, was dem Klient selbst noch nicht möglich ist zu fühlen, z. B. weil Ängste, Verbote, Glaubenssätze oder traumatische Erfahrungen das unmöglich gemacht haben. Auch hier haben die Spiegelneurone, -systeme eine entscheidende Aufgabe. Beim Berater kommt es also auf ein „ergänzendes“ Einfühlungsvermögen (aus eigenen Erfahrungen) an, welches in ihm eine Ahnung davon erzeugt, wohin sich der Klient gerne entwickeln möchte und kann. Nur so kann eine Entwicklung gefördert werden, an deren Ende der Klient ganz der werden kann, der er eigentlich ist. Wenn das Gefühlsleben des Beraters allerdings eingeengt, oder durch eigene Ängste und blinde Flecke beeinträchtigt ist, dann kann er dem Patienten keinen intuitiven Resonanzboden bieten. Ein guter Berater sollte also mit seinen eigenen Gefühlen im Reinen sein und ein gut entwickeltes Gefühlsleben haben. Immer mehr Therapeuten vernachlässigen diesen Teil ihrer Ausbildung, der da Selbsterfahrung heißt. Wobei anzumerken ist, dass wirklich selbst erlebte, belastende Situationen und Symptome deren Bewältigung, und ein dem entsprechendes Verstehen des Klienten und der damit zusammen hängenden Resonanzmöglichkeiten, den besten Resonanzboden und Hilfe bietet – in der hypnotherapeutischen Sitzung tauschen sich die beiden unbewussten Anteile aus bzw. haben Zugriff auf das jeweils andere. Man kann sich das gut vorstellen, wenn der Therapeut nicht imstande ist z. B. traumatisches Material zu verarbeiten und Ängste entwickelt. Es ist auch bedauerlich dass in vielen Teilen der Medizin, wie auch in der Psychiatrie, so praktiziert wird, dass darauf verzichtet wird, zum Patienten eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und darauf verzichtet wird, die Krankheit bzw. Symptome des Patienten vor dem Hintergrund seiner Biographie und Situation zu verstehen. Statt dessen werden Menschen in Kategorien eingeteilt und in Schubladen gesteckt (Stichwort DSM, ICD) und medizinische Hilfe bedeutet weiterhin apparative und medikamentöse Maßnahmen.
Noch was. Ich hoffe, dass meine Ausführungen deutlich gemacht haben, dass durch Spiegelneurone vermittelte Prozesse in vielen Bereichen ein Rolle spielen. Vieles ist noch mit den Spiegelsystemen verbunden. Man kann sich auch gut vorstellen, wie diese Systeme durch Erziehung und Erfahrungen in ihrer Wahrnehmung eingeengt werden können. Auch in der Pädagogik spielen Spiegelzellen eine wichtige Rolle. Hier sind sie besonders bei Kindern in der Schule bedeutsam. Was Kinder in Medien sehen, hat teilweise weitreichende Folgen. Kinder, die einen hohen Medienkonsum haben, in denen Gewalt zur Darstellung kommt (also von den Eltern geparkt werden) haben Lernschwierigkeiten und entwickeln Verhaltensauffälligkeiten.
Übrigens, ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass sich Menschen, die sich mögen, die gleiche Körperhaltung einnehmen? Testen sie es aus – auch gut zu beobachten beim Flirten.
Ihr Dieter Orth